Die bisherige österreichische Regierung hatte sich das ambitionierte Ziel gesetzt, bis 2040 klimaneutral zu werden. Um dieses Ziel zu erreichen, müssen aber nicht nur die CO₂-Emissionen radikal gesenkt, sondern vor allem auch das Stromsystem grundlegend umgebaut werden. Nicht zuletzt auch deshalb, weil wir bis 2040 voraussichtlich doppelt so viel Strom benötigen werden. Doch um speziell Letzteres zu schaffen, muss das Parlament nun endlich in die Gänge kommen und Rahmenbedingungen in Form von Gesetzen schaffen. Politische Gesinnung darf dabei keine Rolle mehr spielen.
Die Meinung über die Notwendigkeit von klaren und langfristigen Regelungen ist einhellig: Nicht nur die Energiewirtschaft forderte am Energiekongress in Villach von der Regierung endlich Nägel mit Köpfen zu machen, sondern auch der OVE im Rahmen der Energietechnik-Tagung, bei der rund 280 Expertinnen und Experten über die Zukunft unseres Energiesystems dieser Tage diskutierten. Die zentrale Forderung der Protagonisten beider Veranstaltungen lautete: Die Energiewende müsse ein überparteiliches Anliegen sein.
Der Umbau des Energiesystems muss jetzt beginnen
Auch Bundespräsident Alexander Van der Bellen ist sich der Notwendigkeit voranzukommen bewusst – er fasste den Handlungsbedarf beim Energiekongress 2024 in Villach prägnant zusammen und fordert auf eine feinsinnige Art: „A little less conversation, a little more action please!“ Damit platzierte er nicht nur punktgenau einen Songtext von Elvis Presley, sondern forderte auch klare, konsequente Maßnahmen zur Bekämpfung der Klimakrise und zum Umbau des Energiesystems.
Zwar hat Österreich bereits erste Erfolge erzielt – seit 2023 ist das Land nach zwanzig Jahren wieder Stromexporteur –, doch wie Energieministerin Leonore Gewessler in ihrer Grußbotschaft an die Vertreter der Energiewirtschaft betonte, reicht das nicht aus. Denn für die Erreichung der Klimaziele ist ein intensiver Ausbau erneuerbarer Energien notwendig, insbesondere im Bereich der Photovoltaik (PV) und der Windkraft – so die Ministerin.
Stromverbrauch wird sich verdoppeln
Die E-Wirtschaft geht davon aus, dass sich die Nachfrage nach Strom bis zum Jahr 2040 gegenüber heute auf rund 150 Terawattstunden (TWh) verdoppeln wird. Vor allem die Bereiche Mobilität, Industrie und Raumwärme gewinnen dabei massiv an Bedeutung. Neu hinzu kommt die Produktion von Wasserstoff. Zur Deckung dieser Stromnachfrage muss sich die in Österreich installierte Kraftwerksleistung in den kommenden Jahren fast verdreifachen – von derzeit 27 GW (Gigawatt) auf 71 GW. Der Anteil der Wasserkraft, auf die derzeit rund die Hälfte dieser Leistung entfällt, wird sich im Zuge dieser Entwicklung im Verhältnis halbieren.
Während der ÖNIP – der integrierte österreichische Netzinfrastrukturplan aus der Feder des BMK aus dem letzten Jahr – noch die Photovoltaik ins Zentrum eines neuen Energiesystems gerückt hat, misst die Energiewirtschaft der Windkraft nun einen höheren Stellenwert bei – das ist jedenfalls eines der Ergebnisse aus der „Stromstudie 2040“, die Oesterreichs Energie beim Beratungsunternehmen Compass Lexecon in Auftrag gegeben hat und die nun vorliegt. Der Conclusio daraus: Ein robustes und klimaneutrales Stromsystem in Österreich ist grundsätzlich machbar – doch es ist kein Selbstläufer.
Warum es mehr an Windenergie braucht
„Wind = Winterstrom“, heißt es von Seiten der Kelag-Verantwortlichen im O-Ton. Sie betonen damit, dass der Windkraft-Ausbau unverzichtbar ist und jedes Bundesland sein Potenzial nutzen muss. Denn ein ausgewogenes Verhältnis zwischen den verschiedenen Erzeugungstechnologien über das gesamte Bundesgebiet hinweg ist die Voraussetzung für ein leistbares Energiesystem. „Damit wir Synergien nutzen und Schwankungen minimieren können, brauchen wir die richtige Relation zwischen PV-Anlagen und Windkraftwerken – die Erzeugungsmuster dieser Technologien ergänzen sich ausgezeichnet und müssen deshalb im Gleichschritt ausgebaut werden“, forderte auch Verbund-Chef Michael Strugl in Villach.

Wichtigste Voraussetzung für eine funktionierede Stromversorgung – auch im Jahr 2040 – ist ein sehr ausgewogenes Verhältnis zwischen den verschiedenen Erzeugungstechnologien. Grafik: Compass Lexecon
Der richtige Mix macht’s: Wasserkraft als Rückgrat
Österreich wird unterstützt von einer etablierten Wasserkraft-Infrastruktur, die auch zukünftig das Rückgrat der Stromversorgung bilden wird. Rund 60 % des inländischen Stroms werden derzeit aus Wasserkraft gewonnen. Doch auch wenn Wasserkraft ein zentraler Pfeiler ist, wird sie allein nicht ausreichen. Um die schwankende Erzeugung aus Sonne und Wind auszugleichen, ist ein ausgewogener Mix verschiedener Technologien notwendig.
Ulrike Rabmer-Koller, geschäftsführende Gesellschafterin der Rabmer Gruppe, forderte deshalb im Rahmen des Energiekongresses in Villach eine „Vier-i-Strategie“ für die Transformation des Energiesystems: „Innovation, Investition, Information und Internationalisierung sind die Schlüssel, um diese Herausforderung zu meistern.“ Österreich müsse seine technologische Expertise besser nutzen und international vermarkten, um Wettbewerb zu betreiben
Flexibilität und Speicher: Die entscheidenden Stellschrauben
Die größte Herausforderung für die kommenden Jahre wird neben dem Ausbau auch die Sicherstellung der Flexibilität im Energiesystem sein. Da Strom aus erneuerbaren Energien wie Wind und Sonne nicht stetig und vor allem manchmal auch nicht ausreichend verfügbar ist, müssen Lösungen entwickelt werden, um diese Schwankungen auszugleichen. Pumpspeicherkraftwerke, Batterien und Elektrolyseure werden dabei eine zentrale Rolle spielen.
Strugl hob in seiner Rede hervor, dass deshalb umfassende Investitionen in Speicherkapazitäten notwendig sind: „Um das System künftig im Gleichgewicht zu halten, müssen wir umfassend in alle Arten von Speichern investieren.“ Auch steuerbare thermische Kraftwerke, die mit klimaneutralen Gasen wie Biomethan oder Wasserstoff betrieben werden, sind laut Strugl in den Wintermonaten unverzichtbar. Ohne diese steuerbaren Kapazitäten wird es besonders schwer sein, eine kontinuierliche Stromversorgung sicherzustellen, heißt es von Seiten der Energiewirtschaft.
Investitionen in die Infrastruktur: Ein Kraftakt für Österreich
Die Umstellung auf ein klimaneutrales Energiesystem wird mit erheblichen Kosten verbunden sein. Michael Strugl schätzt, dass in den kommenden Jahren mehr als 100 Milliarden Euro investiert werden müssen, um ein robustes, zukunftssicheres Energiesystem zu schaffen. Diese Mittel werden für den Ausbau der Erzeugungskapazitäten und die Modernisierung der Netzinfrastruktur verwendet.
Strugl unterstrich dabei nicht zum ersten Mal, dass es nach wie vor an den Rahmenbedingungen fehlt: „Wir sind bereit, diese Mittel zu investieren, aber dafür braucht es Planbarkeit und Investitionssicherheit.“
Weder das Elektrizitätswirtschaftsgesetz (ElWG) noch das Erneuerbaren-Ausbau-Beschleunigungsgesetz (EABG) hat es in der letzten Legislaturperiode bis zum Beschluss im Nationalrat geschafft. Aber beide Gesetze hätten die Rahmenbedingungen für den Umbau des Energiesystems verbessern sollen: „Während das ElWG die Basis für den notwendigen Infrastrukturausbau ist, soll das EABG vor allem Genehmigungsverfahren verkürzen und bestehende Hürden aus dem Weg räumen. Egal, wie die nächste Bundesregierung in Österreich aussieht, sie müsse die ausstehenden Gesetze rasch beschließen“, bekräftigten auch die Experten im Vorfeld der OVE-Energietechnik-Tagung in Salzburg.
Der Umbau hat bereits begonnen
Obwohl die Regierung in diesen Punkten noch immer nicht abgeliefert hat, ist die Energiewirtschaft bereits in Vorleistung gegangen – der Umbau des Systems ist im vollen Gange. Darauf weist auch Danny Güthlein, Vorstand der Kelag, hin. Er unterstreicht aber gleichzeitig auch, dass optimierte Lösungen notwendig sind, um unnötige doppelte Infrastrukturen zu vermeiden: „Intelligente Lösungen sind gefragt, die sowohl wirtschaftlich als auch sozial nachhaltig sind.“
Der ökonomische Aspekt treibt natürlich auch die Wirtschaft in ihrem Wunsch nach kalkulierbaren Strompreisen an. Jörg Eisenschmied, Finanzvorstand von Infineon, betonte in diesem Zusammenhang auf der Bühne des Energiekongresses vor allem die Notwendigkeit langfristigen Denkens: „Unternehmen und Industrie brauchen Planungssicherheit, um die nötigen Investitionen tätigen zu können.“ Ein Handeln in Legislaturperioden greift für die Herausforderungen der Dekarbonisierung eindeutig zu kurz.
Versorgungssicherheit und Resilienz: Herausforderungen der Zukunft
Neben der klimafreundlichen Stromerzeugung wird der Versorgungssicherheit eine immer stärker wachsende Priorität beigemessen. Die Klimakrise bringt neue Risiken mit sich, wie Extremwetterereignisse, die die Energieinfrastruktur bedrohen. Barbara Schmidt, Generalsekretärin von Österreichs Energie, betonte in diesem Zusammenhang die Notwendigkeit eines widerstandsfähigen Energiesystems, das nicht nur klimaneutral, sondern auch robust ist gegenüber künftigen Herausforderungen. Doch Sicherheit bedarf es nicht nur auf Hardware-Ebene. Vor allem auch die digitalen Teilbereiche des Energiesystems müssen gerüstet sein. Wolfgang Rosenkranz vom CERT.at-Team verwies dabei auf die zunehmende Gefahr von Cyberangriffen auf kritische Infrastrukturen: „Die Angriffe auf kritische Infrastrukturen weltweit nehmen zu. Dabei gehört qualifiziertes Personal zu den knappsten Ressourcen, die wir bei der Abwehr von Cyberkriminalität haben.“ Angreifer nutzen Künstliche Intelligenz, aber auch die Verteidiger könnten davon profitieren, indem sie Schwachstellen erkennen und Angriffe abwehren.
Politik, Wirtschaft und Wissenschaft an einem Tisch!
Die erfolgreiche Umsetzung der Energiewende erfordert eine enge Zusammenarbeit zwischen Politik, Wirtschaft und Wissenschaft. Michael Strugl forderte daher, dass die nächste Bundesregierung die Verantwortung für die Energiewende in einem Ministerium bündelt, um Entscheidungen effizienter zu gestalten.
Fazit: Der Weg zur Klimaneutralität ist lang, aber machbar
Österreich steht vor einer gewaltigen Aufgabe. Der Weg zur Klimaneutralität bis 2040 erfordert enorme Anstrengungen, Investitionen und eine strategische Zusammenarbeit aller relevanten Akteure. Der Ausbau erneuerbarer Energien, die Entwicklung von Speichertechnologien und der gezielte Netzausbau sind die Eckpfeiler der Stromstrategie.
Zitate von den Reden auf der Bühne des Energiekongresses in Villach:
Herfried Münkler von der Humboldt-Universität weist auf die geopolitischen Herausforderungen hin, die auf uns zukommen: „Wir stehen vor einer globalen Neuordnung, in der autoritäre Regime und demokratische Staaten einander gegenüberstehen.“ Angst und Furcht spielen eine zentrale Rolle, und die Energieversorgung wird dabei zum Spielball.
Michael Strugl fasste die Aufgabe beim Abschluss des Energiekongresses 2024 zusammen: „Wir haben die Technologien, wir haben die Menschen, die dafür brennen, und wir wissen, wie es geht. Der Plan steht – jetzt heißt es, ihn entschlossen umzusetzen.“
Peter Klimek vom Supply Chain Intelligence Institute Austria betont, dass nicht nur seltene Erden eine Rolle spielen, wenn es um die Rohstoffversorgung der Energiewende geht: „Kreislaufwirtschaft und Recycling von Abfällen sind essenziell, um die Rohstoffversorgung sicherzustellen und die Champions League der Energiewende zu erreichen.“
Berthold Kren, CEO von Holcim Central Europe, betont die Bedeutung der Dekarbonisierung der Industrie für den Erfolg dieses Umbaus. Er sieht die sektorübergreifende Zusammenarbeit zwischen Industrie und Energieversorgern als Schlüssel an, mahnt jedoch entsprechend, dass die Nachfrage nach CO₂-sparenden Produkten in der Industrie steigen muss: „Ohne die Nachfrage nach CO₂-sparenden Produkten in der Industrie wird es schwer, diese Transformation voranzutreiben.“
Stromstrategie 2040: Die Energiewirtschaft ließ vom Beratungsunternehmen Compass Lexecon untersuchen, ob der österreichische Strombedarf auch in einem vollständig klimaneutralen Stromsystem über das ganze Jahr sicher gedeckt werden könnte. Neben dem Erneuerbaren-Ausbau wurde dabei auch der geplante Ausbau von Speichern und Flexibilitäten berücksichtigt, die künftig erforderlich sein werden, um angesichts einer stark steigenden Volatilität weiterhin sichere Stromversorgung zu ermöglichen.