Gira-Chef Dirk Giersiepen über den Gira Campus Röntgenstraße:

„Statt plumpe Verlagerung in Niedrigstlohn-Länder“

von David Lodahl
Foto: © www.i-magazin.com

Bereits Anfang Oktober 2018 hat der Gebäudetechnikspezialist und Smart-Building-Pionier Gira mit dem Gira Campus Röntgenstraße seinen zweiten Standort im Osten Radevormwalds eingeweiht. Auf einer Fläche von 30.000 m2 sind die Forschung und Entwicklung, Montage und gesamte Logistik des Technologiemittelständlers untergebracht. Rund 550 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind hier – zum Teil im Dreischichtbetrieb – tätig, um Design-Schalterprogramme, Türkommunikations- und Sicherheitssysteme sowie Komponenten für die digitale Vernetzung von Gebäuden zu entwickeln, herzustellen und auf den Weg zu Kundinnen und Kunden in rund 40 Ländern zu bringen. Von montags bis samstags verlassen täglich im Durchschnitt rund 5.000 Auftragspositionen mit circa 150.000 Geräten den hochmodernen Industriebau in alle Himmelsrichtungen. Dirk Giersiepen, geschäftsführender Gesellschafter des Bergischen Familienunternehmens, erläutert im Gespräch, welche Bedeutung der Campus Röntgenstraße für Gira hat.

Herr Giersiepen, für den Bau des neuen Gira Produktions-, Entwicklungs- und Logistikzentrums war die größte Investition in der 117-jährigen Geschichte des Unternehmens notwendig. Welche unternehmerischen Ziele verfolgt Gira mit dem neuen Standort am Campus Röntgenstraße?

Dirk Giersiepen: Wir hatten viele Jahren eine Vielzahl von Hallen und auch Büroflächen im Industriegebiet Mermbach angemietet. Damals war es ein großer Glücksfall, dass wir am Campus Dahlienstraße nach und nach immer mehr Flächen anmieten konnten. Trotzdem führte das natürlich nicht zu idealen Prozessen, wenn man aus angemieteten zwei-, teilweise dreigeschossigen Hallen über die Straße hinweg die eigene Montage und den Versand versorgen musste, das ist ja klar.

So war nun Ende 2014 der Zeitpunkt gekommen, dass der Gesellschafterkreis sich für diese Neubauinvestition auf der „grünen Wiese“ entschieden hat. Vom Wareneingang in die Montage zum Warenausgang, dazwischen eine sehr leistungsfähige Kommissionier- und Lagerlogistik. Alles auf einer Ebene mit idealem Warenfluss. Und ein Entwicklungszentrum auf einer Ebene auf dem Dach der Montage statt auf mehrere Geschosse verteilt. Was für ein Unterschied!

Wir haben unterm Strich ja gar nicht so viel Fläche hinzugewonnen, wie man meinen könnte, wenn man diesen Neubau sieht. Denn wir haben ja doch viele angemietete Hallen aufgegeben, als wir die dort untergebrachten Abteilungen an den Campus Röntgenstraße, aber auch auf freigewordene Flächen am Campus Dahlienstraße umziehen konnten.

Dieser Großinvestition stehen wegfallende Kosten für Mieten und die sehr aufwändige interne Logistik zwischen den Gebäuden gegenüber. Wir brauchen viel weniger Pufferläger, die bis 2018 zum Teil mitten in der Fertigung standen, weil die automatische Lagertechnik nicht schnell genug war. Die Produktivität ist natürlich gestiegen. Aber hier am Standort Radevormwald durch intelligente Abläufe und nicht durch plumpe Verlagerung in Niedrigstlohn-Länder. Und für die nächsten 25 Prozent Wachstum müssen wir nicht bauen oder erneut anmieten. Sie sehen, es handelt sich um moderat dimensionierte Reserveflächen.

 

Warum ist Gira als international tätigem Unternehmen die Treue zum Standort Radevormwald so wichtig? Und was bedeutet in diesem Kontext das Label „Made in Germany“ für Gira?

Giersiepen: Die Treue zum Standort Radevormwald hat ja gute Gründe. Sie ist nicht das Ergebnis nostalgischer Gefühle oder eines Firmen-Dogmas, das unseren Entscheidungsspielraum einschränken würde. Natürlich freuen wir uns, dass wir mit diesem Neubau ein solches Standortbekenntnis zu Radevormwald setzen konnten. Aber diese Treue hat bessere Gründe als nostalgische Gefühlsduselei. Es gelingt einfach, auch 117 Jahre nach Gründung unseres Unternehmens immer wieder aufs Neue – gemeinsam mit vielen tollen, loyalen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern – die Wirtschaftlichkeit hier in Radevormwald nachzuweisen. Unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind ja auch treu und loyal. Sie werden bessere Gründe dafür haben als Gewohnheit und Nostalgie. Menschen sind nicht aus Faulheit treu und loyal, sie haben Gründe dafür.

„Made in Germany“? Immer noch ein in vielen Teilen der Welt wahrgenommenes Qualitätsversprechen. Auch wenn Deutschland durch das Planungs- und Umsetzungschaos bei einigen Infrastruktur-Investitionen im eigenen Land dieses Versprechen ein Stück weit beschädigt hat. Aber „Made in Germany“ ist in einigen Märkten durchaus hilfreich. Nicht mehr, aber auch nicht weniger.

Als während der Pandemie auch in unserer Branche immer wieder Unsicherheit über die Verfügbarkeit von Waren aufkam, hat uns natürlich geholfen, dass wir bis auf wenige Ausnahmen unsere Produkte hier bei uns fertigen und mit Vorlieferanten zusammenarbeiten, die in Deutschland und Österreich produzieren.

 

Wenn Sie auf dieses komplexe Großprojekt zurückblicken, das von den ersten Plänen bis zur Einweihung im Herbst 2018 mehrere Jahre in Anspruch genommen hat: Gibt es etwas, was Sie persönlich besonders beeindruckt hat oder worauf Sie stolz sind?

Giersiepen: Natürlich ist es beeindruckend, was hier in diesem Team aus eigenen Mitarbeitern, Architekten, Planern und ausführenden Gewerken entstanden ist. Das sind schon sehr komplexe Gebäude, sowohl was die Hülle als auch die eingebaute Technik betrifft. Dass das weitgehend in Zeitplan und Budget gelungen ist, darauf sind wir stolz, ja das stimmt. Denn dazu gehören ganz viele kluge Köpfe, die sehr gut im Sinne der Sache zusammenarbeiten und persönliche Eigenarten oder gar Eitelkeiten hintanstellen mussten – allen voran unsere beiden eigenen Projektleiter, Andreas Dürwald und Dietmar Daszkiewicz, und die Architekten von Sauerbruch Hutton aus Berlin.

Aber unser Dank geht an ganz viele – nämlich an alle, die diesen Neubau erforderlich und dann in dieser Zeit und Qualität möglich gemacht haben. Erforderlich gemacht, das sind unsere Kundinnen und Kunden. Danke! Umgesetzt, das haben die Architekten, Planer und die vielen ausführenden Unternehmen. Danke! Das war aber auch die Stadt Radevormwald, die uns sehr gut unterstützt hat. Nicht mit Extrawürsten, wie dann manche immer meinen, sondern mit zügiger Bearbeitung und Koordination all der Schritte, die für eine solche Baumaßnahme notwendig sind und mit hilfreichen Hinweisen. Danke!

 

In den 1990er Jahren hat Gira sein neues Vertriebszentrum gebaut, in den 2000er Jahren den gläsernen Doppelriegel für die Kunststofffertigung, im letzten Jahrzehnt die Unternehmens-Kita und das neue Werk. Welche Vorhaben werden in den 2020er Jahren folgen?

Giersiepen: Das klingt ja, als sei Gira ein Bauunternehmen und Projektentwickler (lacht)! Und tatsächlich haben im Mai die Bauarbeiten zur Erweiterung unserer Kita begonnen, weil wir die Zahl der Betreuungsplätze zum Sommer 2023 um 50 Prozent aufstocken möchten.

Aber nein, wir brauchen Gebäude, um unseren Job zu machen, sie sind Mittel zum Zweck. Es ist immer dasselbe, was wir vorhaben. Seit 117 Jahren. Und auch die nächsten Jahrzehnte. Klingt langweilig, ist es aber nicht. Wir verantworten hier gemeinsam Zukunft. Und das gelingt dann, wenn wir unser Geschäftsmodell, also die Entscheidung, mit welchem Angebot wir in welchen Märkten bei welchen Kunden über welche Vertriebskanäle erfolgreich sein wollen und können, laufend den Veränderungen anpassen. Laufend versuchen Disruptoren wie Amazon, Alibaba, Start-ups, Internetportale, … usw. die Schnittstelle zwischen uns und den Endkundinnen und Endkunden zu besetzen. Sie möchten ein Berg sein zwischen uns und den Endkundinnen und Endkunden, damit wir uns gegenseitig nicht sehen können. Und sie wollen die Wissens- und Datenhoheit darüber, was die Endgebraucherinnen und Endgebraucher unserer Produkte wollen und wie sie unsere Produkte nutzen. Stattdessen müssen wir diese Position mindestens auch besetzen. Da investieren wir viel. Und wenn uns das weiterhin recht gut gelingt, dann wird es auch wieder Bauentscheidungen geben. Aber vor das Bauen haben die Götter den Erfolg des Geschäftsmodells gesetzt. Darum geht es, das ist die laufende und nie endende Existenzfrage für jedes Unternehmen. Man ist nie fertig, alles ist immer im Fluss.

 

Vielen Dank für das Gespräch.

www.gira.de

Gira Campus Röntgenstraße

Daten und Fakten

Bauherr: GAV GmbH & Co. KG, Radevormwald
Standort: Röntgenstraße, Radevormwald
Umfang: 30.000 Quadratmeter Bruttogeschossfläche (BGF) – erweiterbar auf bis zu 50.000 Quadratmeter BGF
Planungsbeginn: 2014
Baubeginn: 2016 (Erster Spatenstich: 20. August 2016; Grundsteinlegung: 28. Oktober 2016)
Fertigstellung: Produktion und Logistik (ca. 26.000 Quadratmeter) im August 2018; Entwicklungsbereich (ca. 4.000 Quadratmeter) und Außenanlage im Juni 2019
Einweihung: 6. Oktober 2018
Inbetriebnahme: in Etappen von Oktober 2018 bis Februar 2020
Betriebsbereiche: Produktion, Logistik und Entwicklung
Mitarbeiter/-innen: ca. 550 Beschäftigte

An der Errichtung beteiligt:

  • ca. 1.200 Personen
  • 120 Firmen
  • 65 Gewerke

Darunter unter anderen:

Architekten: Sauerbruch Hutton Gesellschaft von Architekten mbH, Berlin
Projektsteuerung: Eisenmenger Co-Operation GmbH, Osnabrück
Tragwerksplanung:  Werner Sobek Stuttgart GmbH, Stuttgart
Außenanlagen: Battenberg & Koch GbR, Krauthausen
Technische Gebäude-Ausrüstung: TEN Ingenieure GmbH, Aachen
Elektroplanung: PBE-Beljuli Planungs GmbH, Pulheim
Elektroinstallation: epi GmbH, Recklinghausen; Bauer Elektroanlagen Holding GmbH, Buchbach (Niederlassung: Düsseldorf)
Bauphysik: WSGreenTechnologies GmbH, Stuttgart
Brandschutz: Ingenieurbüro Rodermann, Radevormwald

 

Grundstücksfläche: ca. 62.000 Quadratmeter (485 Meter x 128 Meter)
Bebaute Fläche: ca. ca. 24.000 Quadratmeter (266 Meter x 90 Meter)
Ansichtsfläche der Aluminiumfassade: ca. 13.000 Quadratmeter
Gebäudehöhe: bis zu 21 Meter
Energiebedarf: 45 Prozent unter den Vorgaben der Energieeinsparverordnung (ENEV) 2014
Lagerkapazitäten: 6.000 Paletten- und 152.000 Behälterstellplätze

Verbaut wurden:

  • ca. 4.000 Tonnen Stahl
  • ca. 246 Tonnen Aluminium
  • ca. zwei Kilometer Fördertechnik
  • ca. 110 Kilometer EDV-Kabel
  • ca. 130 Kilometer Starkstromkabel
  • ca. 70 Kilometer Heizungsrohre in der thermisch aktivierten Bodenplatte
  • ca. 60 Kilometer Heizungs-, Kälte-, Wasser-, Abwasser-, Sprinkler- und Luftdruckleitungen
  • ca. sechs Kilometer Lüftungsleitungen
  • ca. 15.000 Edelstahldübel und ca. 150.000 Edelstahlschrauben

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